Von Helden und Amazonen


Quelle: https://i.pinimg.com/564x/1d/33/c2/1d33c2114b20a5b5a63e2ca4ac40de6a.jpg, zuletzt abgerufen am: 27. September 2024
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In den letzten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts bemühte sich eine Gruppe von Künstlern und Gelehrten in Florenz, die „Florentina Camerata“, mit viel Enthusiasmus darum, die antike griechische Tragödie – oder was sie sich darunter vorstellten – wieder zum Leben zu erwecken. Es gelang ihnen nicht. Wie sollte es auch?

Von den berühmten „Chören“, die in den Amphitheatern üblicherweise die Handlung kommentierten, und die Gefühle der Darsteller und Zuschauer verstärkt zum Ausdruck brachten, gab es nur die Texte, von ihrem “Sprechgesang“ keinerlei Aufzeichnungen! Sie fantasierten sich die antike Tragödie – und es entstand etwas völlig Neues: die Oper.

Was Wunders, dass es in diesem neu erfundenen Genre nur so wimmelte von griechischen Helden, Göttern und Halbgöttern, eifer- und rachsüchtigen Göttinnen, liebreizenden Nymphen und schreckenerregenden Meeresungeheuern! Die bewunderten Helden (meist Halbgötter), wie Jason, Herakles, Odysseus, Theseus, Perseus, Hector und Achill, und wie sie alle heißen, vollbrachten Übermenschliches. Sie kämpften mit todbringenden Schlangenhäuptern (Medusa), Menschengestalten mit Stierhaupt (Minotaurus), und das noch zur Strafverschärfung in einem Labyrinth, mit unverwundbaren Löwen, und last not least mit Amazonen.

Vase “Perseus, Athena und der Kopf von Medusa”,
ca 400 – 385. v.Vhr., Museum der Schönen Künste, Boston, Quelle: https://www.theoi.com/image/P23.2Medousa.jpg, zuletzt abgerufen am: 25.05.2024

Herkules im Kampf mit dem Löwen von Nemea. Detail des römischen Mosaiks „Die Zwölf Arbeiten“ aus Llíria (Valencia, Spanien), Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/10/Mosaico_Trabajos_H%C3%A9rcules_%28M.A.N._Madrid%29_01.jpg, zuletzt abgerufen am: 25.05.2024

Doch: Wer waren die berühmt-berüchtigten Amazonen?

Sie lebten an der Südküste des Schwarzen Meeres und in den Steppen Eurasiens, kämpften heldenhaft mit Pfeil und Bogen zu Pferde, trugen praktischerweise Hosen, waren tätowiert und nahmen Rauschgift, vermutlich Cannabis.

Ein Druck von 1882, Quelle: https://static.nationalgeographic.de/files/styles/image_3200/public/85124.webp?w=1600&h=900, zuletzt abgerufen am: 25.05.2024

Vermutlich! So manches gehört wohl in den Bereich der Sage.

Das erste literarische Zeugnis findet sich in Homers „Ilias“ (730 v. Chr.), wo der Verfasser den Mythos allerdings bereits als bekannt voraussetzt. Im Trojanischen Krieg kämpft Achill gegen die Amazonenkönigin Penthesilea und besiegt sie. Als er der toten Amazone den Helm abnimmt, ist er betört von ihrer Schönheit und entbrennt in Liebe zu ihr – ein Motiv, das auch in der späteren Literatur und Musik einige Male wiederkehrt!

Bertel Thorvaldsen – Achill und Penthesilea (1801), Thorvaldsens Museum, Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/29/Achilles_och_Penthesilea.jpg, zuletzt abgerufen am: 25.05.2024

Herodot (5. Jh. v. Chr.) berichtet von einer Mütterkultur in Lykien am nordöstlichen Mittelmeer, und von den Skythen, einem Volk von Reiternomaden, in dem Frauen ebenso zum Kampf zu Pferde ausgebildet wurden wie die Männer.

Am südlichen Ufer des Schwarzen Meeres, wie auch am südlichen Don und der südlichen Wolga fand man in Grabhügeln menschliche Skelette und Skelette von Pferden, so wie Waffen, Speere, Pfeile und Bogen als Grabbeigaben. Erst 2007 entdeckten Archäologen mit Hilfe von DNA-Analysen, dass es sich nicht nur um männliche Skelette handelte, sondern auch um Frauen, die mit ihren Waffen und ihren Pferden beerdigt worden waren.

Der Traum der Männer, Heldentaten zu begehen, und der Traum der Frauen, es den Männern gleich zu tun, ist keineswegs ausgeträumt: Die Beliebtheit von Superman und Wonderwoman, sowie die Endlos-Serien von „Die Tribute von Panem“ und „Game of Thrones“ beweisen es!

George R.R. Martin – A Game of Thrones, Comics, Quelle: https://pm1.aminoapps.com/6792/6eb3f7754d949c864dc7d46672c768b771f74358v2_hq.jpg, zuletzt abgerufen am: 25.05.2024

Mythen – Urbilder der ewigen Träume und Sehnsüchte der Menschen

Louis-Antoine Lefebvre (1700? – 1763), gern gesehener Gast in den Pariser Salons seiner Zeit, Organist und Komponist, schrieb eine Oper „Andromède“: Andromeda soll für die Eitelkeit ihrer Mutter Kassiopea büßen, die damit prahlte, schöner zu sein als die Wassernymphen Posseidons. Die bedauernswerte Tochter wird an einen Felsen gefesselt und einem Seeungeheuer zum Frasse vorgeworfen. Perseus rettet sie und nimmt sie zur Gemahlin.

Andromedas Klage und ihre Errettung:

Louis-Antoine Lefebvre – Cantate “Andromede”: “J’attendrai la mort sans la craindre” (Air tendre, Fort et marqué). Eva Zaïcik, Le Consort, Justin Taylor

Auch Antonio Vivaldi (1678 – 1741) war fasziniert von griechischen Helden und Amazonen. In seiner Oper „Ercule su´l Termodonte“ (“Herkules auf dem Fluss Thermodon”) muss Herkules dem König von Mykene die Waffen der Amazone Antiope bringen – eine wahre Herkules-Aufgabe! Auf nicht weniger als neun Schiffen fuhr Herkules, begleitet von der gesamten haute volée des Athenischen Adels nach Kappadokien, um der Amazone den Waffengürtel zu rauben. Menalippe, eine Schwester Antiopes wird gefangen genommen, und der Amazonenkönigin bleibt nichts anderes übrig, als sie freizukaufen indem sie Herakles den Waffengürtel als Lösegeld überreicht. Um alles noch zu komplizieren hat sich eine andere Schwester Antiopes, Hippolita, in den schönsten der Griechen, Theseus, verliebt. Sie sitzt an einem Bächlein und träumt von ihrem Geliebten: „Liebe“ – murmeln die Wellen, „Liebe” – gurrt die Turteltaube, „Liebe“ – zwitschert die Schwalbe… Und es wäre nicht Vivaldi, wenn nicht das alles in der Musik zu hören wäre:

Antonio Vivaldi – “Onde chiare che sussurrate aus 2. Act von “Ercole sul Termodonte”, RV 710, Lea Desandre und Ensemble Jupiter

Irgendwo in Frankreich sitzt eine andere Dame an einem anderen Fluss und beweint ihren toten Geliebten, ohne den sie vermeint, nicht mehr leben zu können:

Michèle Lambert (1610 – 1696) „Ombre de mon amant“ :

Michel Lambert – “Ombre de mon amant”, Eva Zaïcik (Mezzosopran) und Ensemble Les Ombres

André Cardinal DESTOUCHES (1673 – 1749) war der Sohn eines reichen Kaufmanns und Landadeligen. Er führte ein äußerst abwechslungsreiches und abenteuerliches Leben. Als Theologe war er einige Zeit Missionar in Siam, trat nach seiner Rückkehr nach Frankreich in die königliche Kavallerie ein und diente einige Jahre später in der Compagnie der Musketiere des Königs. Schon als Soldat begann er mit dem Komponieren – was uns Heutigen schwer vorstellbar ist. Doch war er so erfolgreich, dass Ludwig XIV ihn zum Nachfolger des mittlerweile verstorbenen Jean-Baptist Lully ernannte und viele Opern in Auftrag gab, die in Versailles und Fontainebleau aufgeführt wurden. Eine davon war „Marthésie, Premiere reine des Amazones“. (UA 1699)


Marthesie, eine der neun Schwestern der Penthesilea, ist wütend und traurig über den Tod ihres Geliebten, den eine andere Amazone aus Versehen getötet hat. Sie schwört Rache und will ihm in die Unterwelt folgen.

Marpesia („Die Entführerin“) war die Königin der Amazonas-Frauen, Lampedo („brennende Fackel“) ihre Schwester., 1553, Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e7/Marpesia-Marthesia.jpg, zuletzt abgerufen am: 25.05.2024

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André Cardinal Destouches (1672-1749): „Quel coup me réservait la colère céleste“ („Welchen Schicksalsschlag hat der Himmel für mich vorgesehen“):

Andre Cardinal Detouches -Marthésie, première reine des amazones: “Quel coup me réservait la colère céleste ?”, Lea Desandre, Ensemble Jupiter

Claudio Monteverdi (1567-1643)

In der folgenden Szene ist keine Amazone im Spiel, sondern eine verführerische Kurtisane, die einen Kaiser betört und ihren Geliebten verraten hat.

In seiner tragischen Oper „L’Incoronazione di Poppea“ (UA 1642-43 in Venedig) kehrt Ottone nach heldenhaften Kämpfen für sein Vaterland nach Rom zurück und muss erfahren, dass seine Geliebte Poppea nunmehr die Geliebte des Kaisers Nero ist. Nero verspricht Poppea sie zu ehelichen und seine Gattin Ottavia zu verstoßen. In ihrer Verzweiflung sucht Ottavia Rat bei dem Philosophen Seneca, der nun versucht den Kaiser umzustimmen, was gründlich misslingt:

Nero befiehlt Seneca sich selbst zu töten. Das ist nicht ganz historisch; der Grund für diesen Befehl war wohl nicht Senecas Fürsprache für Ottavia, sondern seine angebliche Teilnahme an einer Verschwörung gegen Nero. Dramaturgisch war es wohl ein kluger Schachzug, die Tragik von Ottavias Schicksal durch Senecas Tod zu erhöhen, so konnte man sich des Mitgefühls des Publikums sicher sein. Seneca starb, wie Sokrates, stoisch dem Tod in die Augen schauend, nachdem er sich erfolglos die Pulsadern aufgeschnitten hatte, indem er den Schierlingsbecher leerte. Ottavia wird in die Verbannung geschickt. Die verachtete Königin beklagt ihr Schicksal, verflucht Nero und fordert Jupiter auf, ihn zu bestrafen.

Claudio Monteverdi“L´incoronazione di Poppea”: Arie der Ottavia: „Disprezzata Regina“

Claudio Monteverdi: “L’incoronazione di Poppea, SV 308 / Act 1 – “Disprezzata Regina!” Magdalena Kožená, La Cetra Barockorchester Basel, Andrea Marcon.


In unserem letzten Drama geht es um den ersten Punischen Krieg (264-241) und seinen heldenhaften Heerführer Attilio Regulo, der in einer Seeschlacht den Sieg über die Karthager erreichte und somit Sizilien unter römische Herrschaft brachte.

Niccolò Jommelli (1714-1774, Neapel)

Zu seiner Zeit war Jommelli ein berühmter und sehr gefragter Opernkomponist. Ebenso wie einige Zeit später Mozart, arbeitete er mit Metastasio zusammen und komponierte dieselben Opern- und Oratorienstoffe: La Clemenza di Tito, Il re Pastore, Betulia liberata, etc. Er wirkte in Rom, wo er Vizekapellmeister am Petersdom war, in Venedig, Wien, Stuttgart und Lissabon.

Seine Oper „Attilio Regulo“ wurde 1750 mit großem Erfolg in Dresden uraufgeführt.

In der folgenden ekstatischen Arie „Par che di giubilo“ jubiliert Attilia, die Tochter des Helden über Attilios Sieg über die Karthager: „Wieviel eher mag ein großes Glück zu töten als ein großer Schmerz“, hier gesungen von Joyce Didonato.

Niccolò Jommelli – “Attilio Regolo”, 1. Akt: “Par che di giubilo” (“Attilia”). Joyce DiDonato, L´Pomo d´Oro , Maxim Emelyanychev

Welch wunderbare Musik begegnet uns in all diesen, uns vielleicht fremd anmutenden Inhalten und zum Teil vergessenen Werken! Viele Erzählungen haben wohl das Gewand gewechselt und kommen verkleidet wieder in der Gestalt von Comics und Fantasy-Romanen. Siegen und Verlieren, Lieben und Sterben, Hoffnung und Enttäuschung, das macht das Leben, die Sehnsüchte und Träume der Menschen aus – zu allen Zeiten.

Literaturverzeichnis

http://de.wikipedia.org/, zuletzt abgerufen am: 25. Mai 2024

https://opera-guide.ch, zuletzt abgerufen am: 5. Juni 2024

https://ancientmythology.org/de, zuletzt abgerufen am: 5. Juni 2024

https://www.scinexx.de/dossierartikel/auf-der-suche-nach-den-amazonen, zuletzt abgerufen am: 3. August 2024

https://www.geo.de/wissen/amazonen–das-geheimnis-der-kriegerinnen-33564418.html, zuletzt abgerufen am: 3. August 2024