Auch Kaiser Karl VI (Kaiser von 1711 – 1740) liebte die Musik mehr als die Regierungsgeschäfte, besonders italienische Opern! Er war ein ausgezeichneter Cembalist und leitete manche Aufführungen höchstpersönlich vom Cembalo aus – wie das in der Barockzeit üblich war. Die italienische Sprache mit der ihr eigenen Rhythmik und Melodik, wie auch das feurige Temperament der Italiener, eignen sich hervorragend für die gesangliche Darstellung von Leidenschaften und Intrigen, von Liebestragödien und dramatische Sterbeszenen, sodass auch österreichische Komponisten italienische Opern schrieben – schon lange vor Mozart! Zum Beispiel:
Georg Christoph Wagenseil (1715-77): Arie des Gandarte “Voi che adora” aus der Oper „Alessandro nell’Indie“
Ihr, die Ihr die schlichte Schönheit bewundert,
vertraut ihr nicht allzu sehr!
Sie kann zwar nicht lügen,
doch Unschuld ist nicht immer eine Tugend!
Es geht in dieser Oper nicht wirklich um den Indienfeldzug Alexander des Großen, sondern um die Liebes-Techtelmechtel, die sich im Hintergrund abspielen!
In seiner Arie warnt Gandarte den indischen König Poro, der die indische Königin Cleofide liebt, zur Vorsicht: er hat beobachtet, dass Cleofide allzusehr von dem griechischen Feldherrn beeindruckt ist, und ihm schöne Augen macht. Alexander jedoch ist über alle menschlichen Leidenschaften erhaben und spart seine Manneskräfte für’s Kriegführen auf!
Leider konnten wir keine Einspielung dieser Arie finden! Besucher unseres Hauskonzerts oder der “Kulturjause” im Schloss Hunyadi erinnern sich vielleicht an die temperamentvolle Darbietung der Sopranistin Lucija Varsic.
Alle anderen hier erwähnten Opernkomponisten sind echte Italiener:
Antonio Caldara (1670 Venedig – 1736 Wien): War von seiner Ausbildung her Cellist, wirkte als Kapellmeister in Mantua, komponierte aber schon 1708 für den späteren Kaiser Karl VI zu dessen Hochzeit mit Elisabeth Christine von Wolfenbüttel in Barcelona. Ab 1716 war er erster Vicekapellmeister der kaiserlichen Hofkapelle, die von Johann Joseph Fux geleitet wurde. Caldara schrieb nicht weniger als 80 Opern 43 Oratorien, 150 Messen, Serenaden, Kantaten und Sinfonien – insgesamt 3400 Werke!
Das folgende, wie ich finde sehr berührende Hörbeispiel handelt ebenfalls von der Liebe, jedoch von einer besonderen: Magdalenas durchaus menschliche Liebe zu Jesus und ihre Wandlung in geistig-platonische Zuneigung:
Aus dem Oratorium „Maddalena ai piedi di Christo“ – es spricht die allegorische Figur der „Göttlichen Liebe“:
Durch meine mächtigen Pfeile ist
die Frau von Magdala nun voll Reue und Trauer.
Der Liebesgott tauchte seine Pfeile ins süße Gift der irdischen Liebe. Vergeblich! Doch tapfer trug sie dle Enttäuschung.
So siegt letztlich die „Himmlische Liebe“ über das irdische Begehren…
Nicola Porpora (1686 – 1768): wurde in Neapel geboren und ist auch dort gestorben. Zwischen seiner Geburt und seinem Tod bereiste er allerdings ganz Europa! Als Gesangslehrer bildete er die berühmtesten Kastraten seiner Zeit aus, darunter Farinelli, der mit seiner Stimme im Flug die Frauenherzen eroberte und Ministergehälter bezog.
Porpora wirkte in London, wo er als Händels schärfster Konkurrent auftrat. Als beide Londoner Opernhäuser in Konkurs gingen, setzte er sich nach Dresden ab und später nach Wien. Seine Hoffnung auf kaiserliche Opernaufträge erfüllten sich jedoch nicht, doch wirkte er auch hier als erfolgreicher Gesangslehrer und stellte den jungen Joseph Haydn als Korrepetitor, an als dieser die Sängerknaben verlassen musste.
Die folgende Arie „Giusto amor“ aus der Oper “Gli orti esperidi” (Die Gärten der Hesperiden) schildert zu welchen katastrophalen Verwirrungen Liebe und Eifersucht führen können, was sich in wütenden und virtuosen Kaskaden des Cellos äußert.
Wahre Liebe, die du in mir brennst
behüte mich vor Angst und Gefahr!
Du allein bist der Grund für mein Glück und meine Leiden!
Du allein schützt mich vor barbarischer Wut!
Ein anderer Italiener im Dunstkreis des Kaisers, dessen Namen weder ich noch Sie, liebe Leserin, lieber Leser (ohne Ihnen nahe treten zu wollen) jemals gehört haben, ist
Guiseppe Porsille (1680 Neapel – 1750 Wien): Auch er kam im Gefolge des Kaisers nach Wien als Gesangslehrer der Kaiserin und etlicher ambitionierter Hofdamen. Allerdings hat der Kaiser ihn nicht besonders gut behandelt. Porsille stand zeitlebens im Schatten Caldaras und hoffte viele Jahre vergebens auf eine Anstellung am Hofe. Trotzdem komponierte er nicht weniger als 21 Opern, 13 Oratorien, Kammermusikwerke und Kantaten. Aus der besonders berührenden Kantate „Violetta gentil“, einem Lobgesang auf das bescheidene Veilchen, hören Sie nun Rezitativ und Arie „Non curando i vani onori“:
Einer der originellsten Persönlichkeiten in Wien war wohl
Alessandro Poglietti: er starb 1683 in Wien. Wo und wann er auf die Welt kam weiß man nicht. Gestorben ist er auf der Flucht vor den Türken, erschlagen vor den Toren Wiens. Seine sieben Kinder gerieten in türkische Gefangenschaft, ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.
Poglietti war Organist bei den Jesuiten und kaiserlicher Kammer – und Hoforganist bei Leopold I. Am Hof genoss er großes Ansehen und wurde sogar in den Adelsstand erhoben und zum Ritter vom Goldenen Sporn geschlagen. Zum Abt von Göttweig, der sehr kunstsinnig war und sowohl Poglietti wie auch seine Schüler finanziell unterstützte, unterhielt er enge Beziehungen. So besuchte Poglietti mit einem der Klosterbrüder, der sein Cembaloschüler war, auf Kosten des Abtes die Jahrmärkte in der Umgebung und studierte die Klänge und Geräusche des täglichen Lebens. In seinem „Compendium“ finden sich zahlreiche Themen für „allerhand Compricen“, wie man Vogelstimmen und anderes auf dem Tasteninstrument imitieren kann: den Gesang der Nachtigall, den Kuckucksschrei, Hennergeschrei, Glockengeläut auf dem Kirtag, den „Alt-Weiber-Krieg” auf dem Wiener Graben.
In seinem Werk für Clavier „Rossignol“ findet sich die sogenannte „Aria Allemagna con alcuni variationi“. Für dieses Werk reiste Poglietti durch beinahe alle Provinzen der Monarchie und studierte die Musizierweise und Bräuche der einzelnen Volksgruppen, die er mit viel Humor und Ironie musikalisch darstellte. Dieses Werk schenkte er dann dem Kaiserpaar zur Hochzeit!
Zurück zur Oper:
Giovanni Bononcini (1670 Modena – 1747 Wien) war ebenso umtriebig wie Porpora und andere. Er wirkte in Bologna, Rom und Wien, Paris und Lissabon. In London arbeitete er mit Händel und konzertierte als Cellist in Adelshäusern. Im Hause Marlborough war er besonders gern gesehener Gast und war auch Mitglied der Royal Academy of Music. Letztlich musste er London wegen eines Skandals verlassen: er hatte eine Komposition von Lotti für seine eigene ausgegeben. Aber er hatte Glück: Kaiserin Maria Theresia bestellte ein “Te Deum” bei ihm und gewährte ihm eine Pension bis an sein Lebensende! Eine seiner 5 Opern handelt von Polifem, einem der Zyklopen mit nur einem Auge. Antike Stoffe waren sehr beliebt zu jener Zeit!
Zur Erinnerung:
Odysseus landete mit seinen Gefährten auf Sizilien. Auf der Suche nach einem Schlafplatz fanden sie eine Höhle und machten es sich gemütlich. Was sie nicht wussten – es war die Wohnhöhle des Polifem. Als dieser vom Hüten seiner Schafe zurückkehrte, war er verständlicherweise etwas ungehalten, und verspeiste auf der Stelle einige der griechischen Eindringlinge. Der listige Odysseus flößte dem Riesen einige Becher Wein ein und, als dieser völlig betrunken zu Boden sank, stach er ihm mit einem brennenden Ast sein einziges Auge aus. Brüllend vor Schmerz stellte Polifem den Angreifer zur Rede:
“Elender Grieche, wie ist dein beschissener Name?“ (frei nach Homer)
Zyklopen sind zuweilen grobe Gesellen, beherrschen jedoch die Rede in fließenden Hexametern!
Darauf Odysseus: “My name is NOBODY“! – dabei konnte er Terence Hill noch gar nicht kennen! Um Hilfe schreiend lief nun Polifem auf die Schafweide. Doch die Zyklopen-Freunde zuckten nur verständnislos mit den Schultern: wenn Niemand ihn geblendet hat, warum schreit er denn so?
(Vielleicht war’s auch ein bisschen anders. Man möge mir eventuelle Ungenauigkeiten gnädigst verzeihen!)
So konnten Odysseus und seine Mannen ihre Irrfahrt gemütlich fortsetzten! Es dauerte allerdings noch einige Jahre bis sie in Ithaka ankamen und Penelope endlich aufhören konnte an ihrem Linnentuch zu weben!
Doch unser Ausschnitt aus der Oper handelt gar nicht von Polifem, sondern von einem armen Fischer und seinen Liebesnöten. Also wieder eine Nebenhandlung:
Der Fischer ist unsterblich verliebt in eine Nymphe. Sie ist betörend schön, will aber um jeden Preis ein selbständiges, unabhängiges Leben führen. Eine frühe Emanze also! In seiner Not bittet der Fischer die Zauberin Circe um Hilfe. Diese jedoch missversteht seine Rede als Liebeserklärung an sie persönlich. Als sie ihren Irrtum bemerkt, sinnt sie auf Rache!
Sie braut zwar den erbetenen Liebestrank und weist den Fischer an, die Flüssigkeit über die Nymphe auszugießen, wenn er sie beim Bade erwischen sollte. Der Fischer tut wie ihm geheißen, doch die Nymphe verwandelt sich augenblicklich in ein scheußliches Monster! Zum Glück befindet sich die Göttin Venus auf einem abendlichen Strandspaziergang und wird Zeugin der Katastrophe. Voller Mitleid verspricht sie der Nymphe Silla, ihr die ursprüngliche Schönheit wieder zu geben – aber unter einer Bedingung: sie müsse den armen Fischer nun endlich erhören! Arie der Venus:
Drück ihn nun an deine Brust
da er so sehr um dich gelitten hat.
Tröste sein traurig Herz
und erwidere seine treue Liebe mit wachsender Leidenschaft!
(Und wenn sie nicht gestorben sind…)
Ich hoffe sehr, liebe Leserin, lieber Leser, Sie hatten Freude an diesem kleinen Rückblick auf “il gusto italiano” im 18. Jahrhundert und an der Begegnung mit Alexander dem Großen, der heiligen Magdalena, dem zarten Veilchen in den Gärten der Hesperiden und der Wunder vollbringenden Göttin Venus, – vor allem aber an der so selten zu hörenden Musik!