Die Träume der Menschheit von Schäferstündchen und idyllischem Leben



Wie lange träumen die Menschen schon davon?

Der Name des Hirten Thyrsis taucht zun ersten Mal bei dem griechischen Dichter Theokrit (um 270 vor Christus) auf. Seine “Idyllen” spielen auf der Insel Kos. Thyrsis, ein Schafhirte, begabt mit einer wunderbaren Stimme, wird von einem anderen Hirten gebeten, die Geschichte von Daphnis und Chloe vorzutragen. In heroischen Hexametern, versteht sich, was einen reizvollen Kontrast zum bäuerlichen Hirtenleben bildet!  Am Ende stirbt Chloe und Daphnis wünscht sich den Tod, wofür er von den Musen heftig gerügt wird – nach dem Motto: andere Mütter haben auch schöne Töchter. Zum Dank für seinen Gesang erhält er eine Ziege, einen Pokal und einen mächtigen Fladen Ziegenkäse. Man merke: bei Theokrit haben die Hirten noch richtig gearbeitet.

Auch in Vergils “Eklogen” finden sich Theokrits Träume von singenden, flötenspielenden Hirten wieder, und  Ovid träumt in seinen “Metamorphosen” vom Goldenen Zeitalter.

Im zweiten Jahrhundert vor Christus verfasste der Grieche Longos einen ergreifenden Liebesroman, gewissermaßen den Ur-Liebesroman, mit dem Titel: “Daphnis und Chloe”.
Selbst Goethe las ihn immer wieder und hielt ihn für

[…] ein Meisterwerk, in dem Verstand, Kunst und Geschmack auf ihrem höchsten Gipfel erscheinen.

Eckermann, Johann Peter, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, Frankfurt am Main, 1981, in: Projekt Gutenberg, https://www.projekt-gutenberg.org/eckerman/gesprche/gsp2095.html , letzter Zugriff: 18. Oktober 2022.

In diesem Roman sind Daphnis und Chloe Findelkinder von verschiedenen Eltern, die bei Hirten aufwachsen. Ob ihre Eltern sie ausgesetzt haben, oder ob sie auf tragische Weise verloren gegangen sind, berichtet die Geschichte nicht. Sie weiden ihre Schafe und Ziegen auf benachbarten Feldern und kennen einander vom Sehen. Eines Tages stürzt Daphnis in eine Grube, und Chloe, die zufällig vorbei kommt, rettet ihn. In einem naheliegenden See badet er, um sich den Schlamm der Grube abzuwaschen, und Chloe beobachtet ihn dabei. Dieses Bild von dem schönen Jüngling wird sie nicht mehr los. Tag und Nacht träumt sie davon, ihn wieder baden zu sehen! 

Doch auch Daphnis hat Feuer gefangen und Schmetterlinge im Bauch! Aber in ihrer Unschuld können sie mit diesen seltsamen Gefühlen nichts anfangen. Sie halten sie für eine Krankheit und sehnen sich nach Genesung! Da erscheint ein weiser Hirte und übernimmt die Aufklärung:

„Denn gegen den Eros hilft kein Mittel, nicht was getrunken, nicht was eingenommen, nicht was in Zauberliedern ausgesprochen wird; keines als Kuss und Umarmung und Zusammenliegen mit nackten Leibern.“

Longus, Daphnis & Chloe: Ein Hirtenroman, Hamburg, 2012, S. 37

Verständlicherweise enthält dieser Rat kein Gegenmittel für ihre Beschwerden; sie verfallen endgültig dem Zauber der Liebe.

Schließlich finden beide ihre leiblichen Eltern wieder, die ihnen ein städtisches Leben in Wohlstand versprechen, doch Daphnis und Chloe entscheiden sich für das Schäferleben auf Lesbos. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. . . .

Tatsächlich leben sie noch lange weiter:

  • in einer Pastorale von Boismoitier (1747)
  • in einer unvollendeten Oper  von Rousseau (1747)
  • in einem Ballett von Ravel (1912) 

und in der Filmwelt der Dreißigerjahre!

Und wovon träumen wir heute?

HOFER von “Zurück zum Ursprung” (vgl. https://www.zurueckzumursprung.at/, zuletzt abgerufen am 22.10.2022)
BILLA von “Ja! Natürlich” (vgl. https://www.janatuerlich.at/, zuletzt abgerufen am 26.10.2022)
SPAR von “Natur Pur” (vgl. https://www.spar.at/eigenmarken/lebensmittel/spar-natur-pur, zuletzt abgerufen am 26.10.2022)
LIDL vom  “besten Kas von der schönsten Kuh” (vgl. https://www.lidl.at/entdecke-lidl-mit-christina-stuermer, zuletzt abgerufen am 26.10.2022)

Meissener Porzellanfigur einer Hirtin
Ende 19./ 20. Jahrhundert
Quelle: Freemansauction
https://www.freemansauction.com/auction/lot/985-meissen-porcelain-figure-of-a-shepherdess/?lot=436246&sd=1, zuletzt abgerufen am 20.10.2022